Den Flüssen wurde vor sechzig Jahren viel Raum genommen. Die Prinzipien waren, Wasser rasch weg zu bekommen, dem Fluss durch Querbauwerke seine Dynamik zu nehmen und die Kraft des Wassers für Energie zu nutzen. Sinkendes Grundwasser, Trockenheit und vermehrte Hochwasserereignisse waren die eine Folge, eine gravierende Verarmung des Lebens im Fluss die andere.
Was viele Menschen nicht wissen und nicht sehen: Unsere Flüsse sind nicht mehr lebendig. Sie sind innerlich leer und enthalten nur mehr wenige Fische oder andere gewässergebundene Arten. Die Vielfalt ist dramatisch zurück-gegangen. Zwei Drittel der Flüsse weisen laut dem nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan nur einen befriedigenden, mäßigen oder überhaupt schlechten Zustand auf.
Eine sehr teure Rechnung
Die massiven Eingriffe in Flüssen passierten in einer Zeit, in der man aufgrund von Nahrungsknappheit versucht hat, so viele neue Produktionsflächen wie möglich zu schaffen. Die Devise war: Wir schaffen uns ein zehntes Bundesland. Die Strategie war vordergründig betrachtet erfolgreich. Heute zeigt uns die Natur, dass man den Bogen dabei aber deutlich überspannt hat. Gerhard Egger, Leiter des Flüsse-Teams im WWF Österreich: „Es wäre sehr schlau gewesen, den Flüssen einen Mindestraumbedarf zu gewähren und dieses Mantra, das Wasser so rasch wie möglich aus der Landschaft zu schaffen, kritisch zu hinterfragen. Dann würde heute der Wasserrückhalt besser funktionieren und wir wären für die Bewältigung von Dürrephasen besser aufgestellt.“ Die Situation an Österreichs Flüssen beschreibt er so: „Wir haben Flüsse, wo vielleicht fünf Prozent der ursprünglichen Fischmenge drin sind. Wir haben Flüsse, bei denen erodiert die Sohle einfach weg. Wir haben große Probleme mit den Grundwasserständen. Das heißt, wir zahlen für diese überzogene Verbauung der Vergangenheit heute eine sehr teure Rechnung.“ Man hat dem Fluss den notwendigen Platz weggenommen, damit sich Wasser gefahrlos durch die Landschaft bewegen und in der Region gespeichert werden kann.
Wie es gehen kann
An der Oberen Drau in Kärnten hat man auf mehr als zehn Flusskilometer visionär zurückgedacht, Flussräume wiederhergestellt und dem Fluss seine Dynamik zurückgegeben. In der Drau und ihren Nebengewässern haben etliche heimische Fischarten, darunter Huchen, Strömer, Koppe und Bitterling, noch ein natürliches Reproduktionsvorkommen. Das ist eine Besonderheit, aber nicht die einzige: Im Oberen Drautal befindet sich, neben einem Vorkommen im Oberen Gailtal, das einzige natürliche Vorkommen des Dohlenkrebses im gesamten Donaueinzugsgebiet. Die letzten Bestände der extrem seltenen Deutschen Tamariske sind aller dings in den 60iger Jahren komplett erloschen. Die Tamariske verschwindet mit der fehlenden Dynamik des Flusses. Sie verbreitet sich mit Hochwässern, ihre Samen schwimmen an der Oberfläche und bleiben auf Schotterbänken liegen, wo sie rasch zu keimen beginnen. Es ist ein Wettlauf mit dem nächsten Hochwasser. „Heute gibt es die Deutsche Tamariske an der Oberen Drau wieder. Die aktuellen Bestände sind die einzigen bekannten Vorkommen in Kärnten. An der Drau hat man den Nachweis erbracht, dass das Verschwinden von Arten umkehrbar ist. Die wieder geschaffene Flussdynamik hat sie zurückgebracht“, freut sich Gerhard Egger. In zwei großen LIFE-Projekten wurden an der Oberen Drau große Flussaufweitungen zugelassen, neue Auengewässer und Auwald geschaffen und ca. zwanzig Hektar zusätzlicher alpiner Flusslebensraum mit dynamischen Schotterbänken, Tamarisken-und Weidenpioniergesellschaften hergestellt. „Dabei haben Hochwasser- und Naturschutz vorbildhaft zusammengearbeitet. Die Synergie zwischen wasserbaulichen und ökologischen Erfordernissen ist gut gelungen.“ Die Drausohle ist stabilisiert und sorgt für einen verbesserten Grundwasserhaushalt. Dieser wiederum ist Grundvoraussetzung für den Erhalt der Auwälder. „Und an diesem Projekt zeigt sich wunderbar, wenn man den Flüssen wieder ein bisschen mehr Raum gibt, schafft man durch schönen Baum- und Strauchbewuchs und Schotterbänke Vielfalt und Leben am Fluss und gewinnt damit das Gebiet als sehr wichtigen Naherholungsraum“, resümiert Egger.
Noch viel zu tun
„Dennoch – es gibt noch sehr viel zu tun“, merkt Egger durchaus kritisch an. Österreichs Gewässernetz ist riesengroß. „Nimmt man nur die großen Flüsse, dann sind es 30.000 km. Ein Drittel haben wir durch Regulierungen kaputt gemacht und sind eigentlich sanierungsbedürftig. Sie rufen dringend danach, dass sie wieder mehr Platz bekommen.“ Leuchtturmprojekte wie an der Oberen Drau geben eine wichtige Richtung und Motivation. Aber: „Wir müssen lernen, dass solche Schritte laufende Praxis werden.“
Unser Tipp: Projekte zum Nachmachen
Obere Drau (Kärnten):
Kontakt: Gerhard Egger, gerhard.egger@wwf.at, Telefon: +43 1/48817-0 Maßnahmen: Flussaufweitungen, Schaffung von Auengewässer und dynamischer Schotterbänke
Mehr Information: https://www.fluessevision.at
Salzachauen (Salzburg)
Kontakt: Bernhard Riehl, bernhard.riehl@salzburg.gv.at, Telefon: +43 662/8042 5517
Maßnahmen: Dynamisierung des Reitbachs, Habitatoptimierung von Auwaldflächen, Vorlandabsenkung, Aufwertung des Ausees, Schaffung neuer Habitate für gefährdete Amphibienarten
Mehr Information: https://www.salzachauen.at/life-projekt/
Lafnitz (Steiermark)
Kontakt: Amt der Steiermärkischen Landesregierung, Abteilung 14 Wasserwirtschaft, Ressourcen und Nachhaltigkeit, abteilung14@stmk.gv.at,Telefon: +43 316/877-2025
Maßnahmen: Umbau von Wehere und Anlage von Fischwanderhilfen, Herstellung eines natürlichen Flussbetts, Flussaufweitung, Revitalisierung von stillgelegten Seitenarmen und Zuläufen
Mur (Steiermark)
Kontakt: Heinz Peter Paar, heinz.paar@stmk.gv.at, Telefon.: +43 0316/877-2024
Maßnahmen: Wiederanbindung bzw. Neuanlage von Nebenarmen, Entfernung von Ufersicherungen, Errichtung von Amphibientümpeln, Sicherung und Wiederherstellung von natürlichen Auwäldern
Mehr Information: https://www.murerleben.at
Enns (Steiermark)
Kontakt: Norbert Baumann, norbert.baumann@stmk.gv.at, Telefon: +43 316/877-2494
Maßnahmen: Flussaufweitungen, Vorlandabsenkungen, Schaffung von Anbruchufer, Schotter- und Sandbänke, Kolke und Furten.
Mehr Information: http://www.life-enns.at
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